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Buchcover »Kadesh. Krumstab und Geißel« von Olaf Ehlerding

Kadesh. Krummstab und Geißel

Autor: Olaf Ehlerding


Seiten: 687 | Verlag: Books on Demand Erscheinungsjahr: 2016 | ISBN: 3754346167 | Rezensiert von: Jolly Thews

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Der Roman beginnt mit den Flüchen und modernen Kraftausdrücken eines Soldaten namens Kele, so dass man zunächst einmal gar nicht weiß, ob die Geschichte überhaupt im Alten Ägypten spielt. Schnell merkt man aber, dass hier ein durch die Wüste ziehender Trupp von Soldaten beschrieben wird – und die werden wohl zu allen Zeiten eher deftige Ausdrücke benutzt haben. Kaum hat man sich etwas in die Geschichte eingefunden und die verschiedenen Namen der Soldaten gelernt, da beginnt nach 45 Seiten ein neuer Erzählstrang, der nun in der Stadt Kadesh spielt und den hethitischen Prinzen Hattusili als Hauptperson hat. An dieser Stelle des Buches habe ich mich noch nicht gewundert, schließlich sind mehrere Handlungsstränge in einem Roman ja nicht ungewöhnlich, und wenn ein Buch Kadesh heißt, muss wohl einer davon auch dort spielen. Aber vom Soldaten Kele werden wir erst 400 Seiten später wieder etwas hören – und das ist für abwechselnde Handlungsstränge nun doch ziemlich ungewöhnlich.

Und genau so geht es weiter: Jeweils nach ein paar Dutzend Seiten beginnt der Autor einen neuen Erzählstrang, mit neuen Handlungsorten und neuen Figuren. Nach den marschierenden Soldaten rund um den schwarzhäutigen Kele und nachfolgend dem bereits erwähnten Prinzen Hattusili in Kadesh, folgt eine Geschichte am ägyptischen Königshof, in der Pharao Ramses und seine Frau Nefertari mit aller Macht einen Thronfolger zeugen wollen. Danach lernen wir den Offizier der Maatmiliz Hadit kennen, der Verbrechen aufklärt und der sich in diesem Handlungsstrang mit seinen Eltern verkracht, weil sein Vater ihn einen Versager und Trinker heißt. Anschließend beginnt eine Geschichte über die Tempelnovizin Shantai, die kaltblütig einen der oberen Amunpriester ermordet. Danach begleiten wir den von den Hyksos abstammenden Bentu, der eine Grabräubertruppe anführt, die in einen Hinterhalt gerät, aus dem Bentu als Einziger entfliehen kann. Im nächsten Erzählstrang ist ein Tesalis die Hauptfigur, der Besitzer einer Glasmanufaktur ist, und danach lesen wir von dem Richter Panethep am obersten Gerichtshof von Memphis, der aber wenige Seiten später schon gepfählt wird und also vermutlich im weiteren Buch nicht mehr auftaucht. Und schließlich sind wir noch am Königshof von Hatti, wo der gehörnte Ehemann und König Muwattalli es schwer hat, sich gegen eine „interne Opposition“ um seine eigene Ehefrau durchzusetzen.

Hat jemand mitgezählt? Es sind insgesamt neun (!) unterschiedliche Handlungsstränge, die der Autor uns hier nacheinander erzählt und die nichts miteinander zu tun haben, wenn man mal davon absieht, dass der Maatmiliz-Offizier Hadit mit der Aufklärung des Mordes an dem Amunpriester beauftragt wird und dabei auch die Novizin Shantai befragt. 340 Seiten – das halbe Buch – sind an dieser Stelle vorbei und ich hatte keinen Plan, worum es in diesem Roman eigentlich ging und wer die Hauptfigur sein sollte. Und das änderte sich leider auch nicht, als in der zweiten Hälfte des Buches dann diese Handlungsstränge wieder aufgenommen wurden. Selbst am Ende des Buches war mir schleierhaft, wie manche dieser Geschichten zusammenhängen sollten.
Nun ist dies der erste Teil eines Dreiteilers und das Zusammenführen der vielen Handlungsstränge kommt vielleicht in den Folgebänden, aber dieser erste Teil, der ja immerhin fast 700 Seiten lang ist, machte mir – ohne eine wirkliche Hauptfigur, oder mit gleich neun davon – keinen großen Spaß.

Immerhin bemüht sich der Autor, ab und zu alte Sprachbilder einzubauen, indem er moderne Sprichwörter abwandelt. Da versucht ein Soldat, zwei Dinge „unter einen Helm zu bringen“ und ein Anderer hat „nicht mehr alle Körner im Speicher“. Dafür tauchen aber auch alle naselang moderne Worte auf, die das gesamte Sprachbild eben nicht mehr antik wirken lassen. Ausdrücke wie Kapitalist, Dünndarm oder „kognitive Dissonanzen“ ließen mich als Leser immer in der Jetztzeit. Eintauchen in die Vergangenheit, in der diese Geschichten spielen, konnte ich so nicht.

Ebenfalls nicht begeistert war ich vom Hang des Autors zu Fäkalausdrücken, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte. Und damit macht er selbst vor Königin Nefertari nicht halt, die über ihre Rivalinnen am Hofe in unterster Gossensprache denkt und spricht. Beispiele gefällig? „Hinterhältige Drecksschleuder“, „Stück Flusspferdscheiße“ oder „halte Deinen dreckigen Rand“ – recht unköniglich…

Ganz am Ende dieses Buches wird ein einziges Mal eine sich anbahnende Liebesgeschichte aufgebaut, aber die darin involvierte minoische Prinzessin stirbt wenige Seiten später einen schnellen, undankbaren Tod und ließ mich als Leser mit einer weiteren Enttäuschung zurück.
Enttäuschung ist auch das richtige Wort für mein Gefühl am Ende dieses Buches. Soll ich nun den Folgeband »Kadesh – Blutgöttin« auch noch lesen? Rein inhaltlich hält sich mein Interesse an dieser Geschichte in Grenzen: keine Hauptfigur, mit der man mitfiebern könnte, kein großer Spannungsbogen, keine Liebesgeschichte, zu viele moderne Worte und jede Menge Kraftausdrücke. Aber rein handwerklich bin ich schon neugierig, wie der Autor die vielen Handlungsschnipsel verknüpfen und daraus die EINE große Geschichte machen will, die ja dann vermutlich von der berühmten Schlacht zwischen Ägypten und den Hethitern erzählt, an deren Ende ja eine Art Unentschieden stand und die zum ersten schriftlich überlieferten Friedensvertrag der Weltgeschichte führte. Soll ich also? Soll ich nicht? Ich muss noch mal drüber nachdenken…