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Cover des Buchs Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Autor: Pauline Gedge


Seiten: 528 | Verlag: Piper Verlag Erscheinungsjahr: 2009 | ISBN: 3492263305 | Rezensiert von: Jolly Thews

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Der kleine Huy ist vier Jahre alt, als seine Eltern ihm mitteilen, dass er zukünftig in der Tempelschule von Iunu leben und lernen soll. Huy, verhätschelter Liebling seiner Mutter, ist entsetzt. Viel lieber würde er weiter zu Hause bleiben und mit Ischat spielen, der Tochter der Dienerin. Zwar streitet sich Huy immer mit ihr, aber insgeheim mag er dieses struppige und eigensinnige Mädchen auch, obwohl er das nie zugeben würde. Nach anfänglichem Zögern geht Huy jedoch gerne zur Schule und wird aufgrund seiner guten Leistungen und seines aufrichtigen Charakters bald von Lehrern und Mitschülern geachtet. Nur Sennefer, der Sohn eines kleinen Gaufürsten, läßt ihn von Anfang an seine Verachtung spüren und provoziert Huy, wann immer er ihn trifft. Eines Tages eskaliert der Streit. Sennefer wirft ein Wurfholz nach Huy und trifft ihn am Kopf. Huy fällt um.
Als er erwacht, sieht er den großen und weisen Imhotep unter dem Baum des Lebens sitzen. Das kann nur das Leben nach dem Tode sein. Imhotep fragt Huy, ob er im Buch des Thot lesen wolle, in dem das Wissen aller Wahrheiten, aller göttlichen Weisheit aufgeschrieben ist. Da Huy eh schon tot ist, sieht er keinen Grund, dieses Angebot abzulehnen. Er nimmt an.
Er erwacht ein zweites Mal. Diesmal auf einem Einbalsamierungtisch im Haus der Toten. Die Sem-Priester sind entsetzt. Huy war 5 Tage lang tot – und plötzlich erhebt sich seine Leiche wieder? Auch zu Hause, wo er sich erholen soll, haben mit Ausnahme seiner Mutter alle Angst vor ihm. Nur Ischat, seine burschikose und dickköpfige Kindheitsgefährtin, traut sich in sein Zimmer. Wieder zurück im Tempel, soll er nun neben seinem Unterricht tatsächlich auch in den heiligen Rollen des Thot lesen. Dies ist eine langwierige und schwierige Aufgabe, und Huy begreift nur wenig von dem, was er da liest. Dafür entdeckt er, dass er die Gabe hat, in die Zukunft von Menschen zu sehen, die er berührt. Damit wird seine Sonderstellung in der Schule aber noch größer, sein Lernpensum lässt ihm kaum noch Zeit für Freunde und Familie. Huy beginnt, seine Gabe abzulehnen.
Mit 16 Jahren, am Ende seiner Ausbildung, hat Huy genug. Er bricht aus der vorbestimmten Tempellaufbahn aus und geht zurück in die schmutzige Kleinstadt, aus der seine Familie stammt. Dort will er als einfacher Schreiber arbeiten. Seine Lehrer, Eltern und Freunde sind entsetzt. Er vergibt damit seine Chance auf ein gutes Einkommen und zieht es anscheinend vor, in Armut zu leben. Huy aber kann nach langer Zeit erstmals seine Gabe vergessen und wie ein normaler Mann leben. Ischat kündigt ihre Stellung und führt fortan Huys sehr bescheidenen Haushalt. Endlich ist sie bei dem Menschen, den sie seit ihrer Kindheit liebt. Allerdings leidet sie darunter, dass Huy ihre Liebe nicht erwidert sondern in ihr nur eine gute Freundin sieht. Doch Huys Leben bleibt nicht lange sorglos und glücklich. Die Leute erkennen ihn wieder. Er ist doch der Wiedergeborene, der Seher, dem die Götter die Zukunft zeigen. Jeden Tag wird die Schlange von Hilfesuchenden vor Huys und Ischats Haus länger. Resigniert ergibt sich Huy in das Schicksal, das die Götter anscheinend für ihn vorgesehen haben.

Das Buch kann inhaltlich in drei Handlungsabschnitte unterteilt werden. Der erste Abschnitt beschreibt die Wandlung des kleinen Huy vom verzogenen Einzelkind hin zum höflichen und fleißigen Schüler. In diesem Abschnitt gelingen der Autorin herrliche Charakterzeichnungen. Jedes Familienmitglied und auch die wichtigen Personen in der Tempelschule werden wunderbar herausgearbeitet. Die Handlung selbst ist in diesem Teil eher nebensächlich: Huy wird zur Schule geschickt und lebt sich dort ein. Aber wie Pauline Gedge die Personen und Orte beschreibt, wie sie es schafft, dass diese tatsächlich vor dem inneren Auge erscheinen, das ist richtig gut erzählt und macht auf jeder einzelnen Seite Spaß.
Der mittlere Abschnitt umfasst Huys Auferstehung und die nachfolgende Zeit des Lesens im Buch des Thot. Diesen Abschnitt fand ich recht langatmig. Immer wieder werden z.T. lange Stücke aus diesem Text zitiert und anschließend macht sich Huy Gedanken darüber, was sie wohl bedeuten könnten. Das meiste davon versteht er nicht und das macht ihn ärgerlich und verzweifelt. Als Leser ging es mir ähnlich.
Im letzten Teil dann versucht der inzwischen 16-jährige Huy, sich seinem Schicksal zu entziehen, indem er den Tempel verlässt und wieder in die heimatliche Kleinstadt zurückkehrt. Hier findet die Autorin dann wieder zurück zu der großartigen Erzählweise, mit der sie mich schon am Anfang begeistern konnte. In diesem Abschnitt steht die Beziehung zwischen Huy und Ischat im Vordergrund. Ischat ist sehr direkt, eigenwillig und selbstbewußt, aber dennoch liebt sie Huy bedingungslos und leidet darunter, dass Huy diese Liebe nicht erwidert. Und Huy weiß genau, warum Ischat manchmal nachts weint und es macht ihn traurig, dass er ihr damit weh tut, dass er in ihr „nur“ seine beste Freundin und Vertraute sehen kann. Diese ungleiche Beziehung zwischen Huy und Ischat ist der Autorin meisterhaft gelungen.
Die Charakterstudien der Hauptpersonen sind nicht nur fein herausgearbeitet, sondern auch auf amüsante Art geschrieben und eingebettet in eine richtig interessante Geschichte, denn Huy entdeckt seine Gabe, versucht, ihr zu entkommen und muss sich letztlich doch in sein Schicksal als Heiler und Seher ergeben. Abgesehen vom etwas schleppenden Mittelteil macht das Lesen dieses Buches also besonders am Anfang und am Ende großen Spaß.

Das Schöne an Pauline Gedges Romanen ist stets, dass sie Erzähltalent mit Fachwissen aufs Angenehmste vereinen kann. Sie schafft eine so dichte Athmosphäre, dass man fast glaubt, die gleiche Luft zu atmen, wie die Hauptfiguren. Daneben lernt man bei ihr auch immer etwas darüber, wie die Ägypter dieser Epoche gelebt haben, hier z.B. über den Unterschied zwischen dem Leben einer einfachen Bauernfamilie im Gegensatz zum Leben der reichen Familie des Gaufürsten. Dies wird besonders in der Szene deutlich, in der Thutmosis‘ Familie bei Huys Familie zu Gast ist. Ebenfalls kann man in diesem Buch erleben, wie gottesfürchtig die Ägypter waren. Jede Stadt hatte ihren eigenen Schutzgott und zu vielen Fest- und Feiertagen wurden die verschiedensten Götter verehrt. Manchem Leser mag es zu phantastisch oder unglaubwürdig erscheinen, dass die Götter tatsächlich mit Huy sprechen, im alten Ägypten hätte über eine solche Geschichte niemand die Nase gerümpft. Und wem es gelingt, in die Atmosphäre der Geschichte einzutauchen, der wird sich daran ebenfalls nicht stören.

Unverständlich sind für mich allerdings drei formale Dinge, die wahrscheinlich im Verantwortungsbereich des deutschen Verlags liegen. Erstens passt der deutsche Titel nicht, denn Huy wird nur einmal kurz vor den Pharao zitiert, um diesem weiszusagen. Dass er »Der Seher des Pharao« wird, passiert wohl erst in einem der nachfolgenden Bände der Trilogie. So hat im englischen Original der erste Band auch den Titel »The Twice Born« (Der zweimal Geborene) und erst der noch nicht erschienene zweite Band soll den Titel »The Seer of Egypt« (Der Seher von Ägypten) erhalten. Hier hat wohl beim deutschen Verlag jemand geschlafen.
Meine zweite Kritik ist, dass im Klappentext des ersten Bandes von Dingen die Rede ist, die im Buch gar nicht vorkommen, sondern wohl auch erst im weiteren Verlauf der Trilogie passieren werden. Obwohl der Verlag sich also rein äußerlich sehr um ein hochwertiges Aussehen des Einbandes bemüht hat (erhabene Goldschrift), hat er inhaltlich wenig Sorgfalt walten lassen.
Drittens vermisse ich auf dem Einband oder im Vorwort einen Hinweis darauf, dass es sich hier um den ersten Teil einer Trilogie handelt. Wer, wie ich, einen in sich abgeschlossenen Roman erwartet hat, wird am Ende sehr enttäuscht sein, denn die meisten Erzählstränge, u.a. auch die mit viel Fingerspitzengefühl aufgebaute Liebsgeschichte, enden im Nichts. Dass man dem Buch nirgendwo, noch nicht einmal am Ende, entnehmen kann, dass die Geschichte weitergeht, ist ein unverzeihliches Versäumnis.

Mein Fazit: Als eigenständiger Roman äußerst unbefriedigend, aber als Auftakt einer Reihe vielversprechend. Trotz der formalen Fehler und Ungereimtheiten dieses Bandes: Wer Romane von Pauline Gedge kennt, weiß um die erzählerischen Qualitäten dieser Autorin. Und deshalb freue mich schon darauf, zu lesen, wie es mit Huy und Ischat weitergeht.

Nachtrag 17.6.2014:
Laut Auskunft des Piper-Verlags ist derzeit leider nicht geplant, die beiden Folgebände auch auf Deutsch herauszubringen. Im englischen Orignal ist die Trilogie komplett erschienen als „The King’s Man Trilogy“ mit den einzelnen Bänden „The Twice Born“, „The Seer Of Egypt“ und „The King’s Man“.

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