Der alte Thutmosis I. hat einen schwächlichen Sohn und eine starke Tochter. Wäre Hatschepsut nur ein Mann, dann wäre es leicht, einen Thronfolger zu ernennen! Aber eine Frau kann nun mal nicht Pharao werden und so bleibt dem alten Thutmosis I. schließlich keine andere Wahl, als seinen Sohn zum Nachfolger zu ernennen und ihn mit Hatschepsut zu vermählen. Während ihrer Ehe versinkt „der Kraftlose“, wie Pharao Thutmosis II. hinter vorgehaltener Hand genannt wird, in Depressionen, die immer häufiger kommen und immer länger andauern. Hatschepsut übernimmt mehr und mehr die Regierungsgeschäfte, unterstützt von einem jungen Priester namens Senmut, für den sie mehr empfindet als sie zugeben darf.
Sie weiß jedoch, dass nach dem Tod „des Kraftlosen“ traditionsgemäß der kleine Prinz Thot (Thutmosis III.) sein Nachfolger werden wird. Dieser fünfjährige Sohn einer Nebenfrau ist genau so, wie ein Prinz von Ägypten sein muss. Und wäre er ihr eigener Sohn, sie würde ihn über alles lieben. Aber so ist dieser Prinz eine Bedrohung für ihren eigenen Machtanspruch. Sie sieht nur einen Ausweg: Bei Nacht und Nebel wird der kleine Thot aus Ägypten fortgeschafft!
So wächst Thot in einer babylonischen Familie auf und hat seine Heimat und seine Herkunft bald vergessen. Aber mit 12 Jahren holt ihn seine Vergangenheit wieder ein: Sein Vater hat in einem seiner wachen Momente kurz vor seinem Tod befohlen, dass sein Sohn zurückgeholt wird und ihn als Thronfolger ausgerufen. Zum zweiten Mal wird Thot aus seiner Familie und einem glücklichen Leben gerissen. Zurück in Ägypten ist er einsam und verwirrt — und froh, dass er nicht sofort den Pflichten eines Thronfolgers nachkommen muss sondern zunächst zum Lernen in den Tempel geschickt wird. Hatschepsut soll als Regentin herrschen, aber nur solange, bis er alt genug für die Thronbesteigung ist. Hatschepsut und Senmut bleiben also nur wenige Jahre, um das Schicksal erneut zu ihren Gunsten zu wenden. Können sie das Unvermeidliche ein weiteres Mal hinausschieben? Als die Barke des Gottes Ammon in einer Tempelzeremonie vor aller Augen den Anspruch des Prinzen auf den Thron bestärkt, weiß Hatschepsut, dass sie unter den Priestern Gegner hat und dass sie jetzt schnell handeln muss. Ein unglaublicher Plan reift in ihr…
Die große Stärke der Autorin liegt — und das gilt für alle drei ihrer Ägyptenromane — in der Charakterentwicklung der Figuren. Sie beschreibt die Gefühle und Leidenschaften der Hauptpersonen so gekonnt, als würde man in deren heimlichen Tagebuchaufzeichnungen lesen. Dies betrifft vor allem die Figur der Hatschepsut. Dieses starke und anscheinend unbeugsame Mädchen fügt sich dennoch der Tradition und heiratet ihren Halbbruder, für den sie manchmal Mitleid, meist jedoch nur Verachtung empfindet. Doch sie ist zu klug und zu selbstbewusst, um auf Dauer ein Leben in der „zweiten Reihe“ zu führen. Und obwohl sie den kleinen Prinzen Thot einerseits liebt, so ist er doch nicht ihr eigen Fleisch und Blut und gefährdet dadurch ihre Ansprüche. Daher verhält sie sich ihm gegenüber oft hart und unfair, um sich im gleichen Moment dafür zu hassen.
All diese widersprüchlichen Gefühle wohnen in ein und derselben Person und man hat dennoch nie das Gefühl, dass irgendetwas aufgesetzt oder künstlich wirkt. Man erkennt sogar viel von sich selbst in diesem unschlüssigen Charakter. Denn haben wir nicht alle unsere hellen und dunklen Seiten, unser „offizielles“ Gesicht und unsere heimlichen Gedanken?
Auch die Veränderungen des Prinzen Thot gelingen der Autorin mühelos: zunächst ein kleiner Junge, der sich verzweifelt wünscht, dass ihn die schöne Königin doch genauso wie seine Halbschwester lieben möge, dann ein einsames und verlassenes Kind in einem fremden Land, schließlich ein verwirrter Jugendlicher, der langsam erkennt, dass er diese Frau, die er immer noch liebt, tatsächlich bekämpfen muss.
Die Autorin schafft es sogar, uns den als Pharao völlig unfähigen Thutmosis II. nahezubringen. Dieser depressive und schwächliche Mann hat die Krone nicht gewollt und kann ihr auch niemals gerecht werden. Er spürt, dass Hatschepsut ihn verachtet, aber er liebt sie dennoch so sehr, dass er für einen einzigen warmen Blick von ihr jede Staatsentscheidung fällt, die sie wünscht. Er zerbricht an der Last des Amtes und an der Kälte seiner Frau. Und dieser Prozess kann einem die Tränen in die Augen treiben.
Und Senmut? Der aus einfachen Verhältnissen stammende kleine Priester will ganz nach oben. Dabei ist ihm jedes Mittel recht. Er begehrte Hatschepsut von ersten Augenblick an. Aber sucht er ihre Nähe wirklich aus Liebe oder ist es nicht doch nur Teil seines Plans? Denn es reicht ihm nicht, nur der Geliebte der Königin zu sein. Nein, er will Macht! Und die kann er nur durch sie erhalten. Aber dafür muss er sie dazu bringen, entgegen allen Traditionen tatsächlich den Thron zu erobern…
Die Charaktere sind absolut glaubwürdig und es fällt einem nicht schwer zu glauben, dass es sich damals wirklich so abgespielt haben könnte. Denn genau so sind wir Menschen: machtstrebend und selbstbezogen auf der einen und zugleich schwach und liebesbedürftig auf der anderen Seite. Und obwohl die Autorin im Vorwort sagt: „Ich sage nicht: »So hat es sich zugetragen«. Ich sage nicht einmal: »So könnte es sich zugetragen haben«“, war ich nach der Lektüre dieses Buches doch überzeugt, dass es ganz genau „so“ gewesen sein könnte!