Über die sexuellen Vorlieben und Ausschweifungen der Griechen und Römer in der Antike ist uns vieles bekannt. Wie aber das Liebesleben der alten Ägypter aussah, welche Bedeutung Sexualität in ihrer Gesellschaft hatte und welche Spielarten der körperlichen Liebe es gab, darüber wissen wir wenig. Obwohl doch so viele Wandzeichnungen und Reliefs uns Szenen von rauschenden Festen zeigen, bei denen nackte Tänzerinnen oder Dienerinnen anwesend sind und obwohl auf manchen Papyri über Ehebruch oder Freudenhäuser berichtet wird, scheint dieser spezielle Aspekt des altägyptischen Lebens noch weitgehend unerforscht. In diesem Buch stellt uns Lise Manniche eine Reihe von Texten, Zeichnungen und Skulpturen vor, die genau diese Wissenslücke betreffen.
Im ersten Teil des Buches beschäftigt sich die Autorin nacheinander mit verschiedenen Aspekten der Sexualität, wie Ehebruch, Prostitution, Homosexualität, Inzest, Sodomie und anderen mehr. Dabei werden die einzelnen Themen nicht ausführlich untersucht sondern eher kurz und listenartig abgehandelt. Dafür stellt sie Auszüge aus antiken Texten und kleine Zeichnungen zum jeweiligen Thema zusammen. Viele dieser Kapitel sind gerade mal eine einzige Seite lang. Andere, wie bspw. das Thema Homosexualität, werden zwar über 8 Seiten behandelt, diese sind aber fast nur mit Bildern gefüllt; die Länge des Textes umfasst zusammen genommen gerade einmal 2 Seiten.
Die zweite Hälfte des Buches stellt erotische Texte vor, darunter Erzählungen aus der Mythologie, aber auch solche aus dem realen Leben. Hieran schließt ein sehr schöner Abschitt über die Liebeslyrik der alten Ägypter an, gefolgt von Lehrsprüchen und Weisheiten. Nach einem kurzen Abstecher zur Deutung erotischer Träume und zur Herstellung sexuell wirksamer Heil- und Hilfsmittel schließt das Buch mit einer erotischen Bildergeschichte etwa aus dem Jahr 1150 v.Chr., zu deren Szenen ein unbekanner Schreiber nachträglich auch noch kurze Dialoge hinzugefügt hat. Im Prinzip ist dies also der erste überlieferte erotische Comic.
In loser Folge und ohne Bezug zum jeweiligen Kapitel sind Fotos von erotischen Amuletten und Skulpturen eingefügt, die bspw. ein erigiertes Glied oder ein Paar beim Liebesspiel darstellen. Von den Zeichnungen oder Inschriften gibt es dagegen keine Fotos, sie sind lediglich als Umzeichnungen vorhanden.
Lobenswert ist, dass zu allen Zitaten und Zeichnungen im Anhang die exakten Quellenangaben zu finden sind. Auch die Fotos der Skulpturen tragen zumindest die Angabe des jetzigen Standortes der Figuren. Positiv auch die Literaturliste des Anhangs, auch wenn diese recht kurz ist. Negativ sind nur ein paar kleine Fehler zu bemängeln. So erzählt die Autorin über die Geschichte von „Wahrheit und Lüge“ (etwa 1300 v.Chr.), dass Lüge und Wahrheit Brüder seien, die sich streiten und deshalb vor dem Gericht der großen Neunheit landen. In der folgenden Übersetzung des alten Texts (aus dem Papyrus Chester Beatty II) ist Lüge dann jedoch eine Frau, die ein Kind von Wahrheit bekommt.
Und im Kapitel über Homosexualität wird gesagt, dass es hierfür eigentlich keine schriftlichen Belege gibt. Etwa 100 Seiten später lesen wir dann die Geschichte von König Neferkare und seinem General, in der explizit brichtet wird, wie Neferkare (besser bekannt als Pepi II.) nachts zu seinem General Sisene schleicht und dort „mit ihm tat, was er wünschte“.
Sehr interessant fand ich in diesem Zusammenhang im Kapitel „Die erotische Sprache in Schrift und Bild“ die poetischen Ausdrücke, mit denen die Ägypter den Beischlaf beschreiben, wie „ihr Haus betreten“ oder „eine angenehme Stunde verbringen“, oder auch die Bezeichnung „Umarmung“ für die weibliche Scham.
Beonders schön ist auch das recht umfangreiche Kapitel „Liebeslyrik“, in dem die aufgeführten Gedichte zeigen, dass die Menschen in puncto Verliebt sein, Lieben und Verlassen werden auch schon vor 5000 Jahren die gleichen Gefühle und Probleme hatten, die auch die Minnesänger im Mittelalter besangen oder die Shakespeare in seinen Werken verarbeitet hat.
Insgesamt ein interessanter Überblick über viele Themen, die mit Liebe und Sexualität zu tun haben. Aber eben nur ein erster Überblick – nicht mehr. Das Buch gibt in den sehr kurzen Kapiteln nur selten eine Antwort, wie es im alten Ägypten tatsächlich gehandhabt wurde. Es ist auch kein wissenschaftliches Lehrbuch, in welchem die Themen ausführlich oder gar erschöpfend untersucht werden. Aber allein aus der Aneinanderreihung der verschiedenen Fotos, Abbildungen und Textstellen lässt sich erahnen, dass Liebe und Sexualität eben auch im alten Ägypten – wie wohl in jeder Epoche – eine wichtige Rolle gespielt haben, auch wenn dies eben bisher wissenschaftlich noch kaum untersucht wurde. Das Buch beweist jedoch, dass es für solche Forschungen durchaus Material gäbe.