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Pharao und Sport

Pharao und Sport

Autor: Wolfgang Decker


Seiten: 108 | Verlag: Philipp von Zabern Erscheinungsjahr: 2006 | ISBN: 3805336209 | Rezensiert von: Jolly Thews

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Das Buch betrachtet das Thema „Pharao und Sport“ aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Der erste Teil heißt „Die sportlichen Könige“ und handelt von den körperlichen Tätigkeiten, die Pharaonen selbst ausgeübt haben. Die zweite Hälfte, „Sport für Pharao“, ist dem Sport gewidmet, der von Anderen zur Erbauung des Pharaos oder als Rahmenprogramm für seine Feste veranstaltet wurde.

Zu Beginn des ersten Abschnitts erklärt Wolfgang Decker – seines Zeichens Professor für Sportgeschichte – dem Leser zunächst einmal, dass ein Pharao niemals tatsächlich an einem sportlichen Wettkampf teilgenommen hätte. Schon die bloße Vorstellung, dass der gottgleiche Pharao theoretisch auch verlieren könnte, war undenkbar. Insofern geht es in diesem ersten Teil des Buches nie um ein Kräftemessen oder einen sportlichen Wettbewerb. Die sportlichen Betätigungen, von denen der Autor berichtet, sind z.B. das Bogenschießen, das Fahren mit dem Streitwagen oder der Lauf des Pharaos beim Sedfest. Aber auch die Vogeljagd mit dem Wurfholz oder das Training von Reitpferden werden hier eingeordnet. Ebenfalls wird kurz auf Spiele, bspw. das Brettspiel „Senet“, eingegangen. Abgeschlossen wird dieser erste Teil vom Kapitel „Ballspiel“, in dem von mehrfach auf Tempelwänden festgehalten Szenen berichtet wird, die einen Pharao darstellen, der einen Ball oder eine Kugel mit einem Stock wegschlägt. Hier ging es allerdings wohl eher um eine symbolische Handlung als um Schlagball.
Im zweiten Teil geht es um verschiedene antike Sportveranstaltungen, z.B. die älteste belegte Ruderregatta zur Zeit Tutanchamuns. Ein anderes Kapitel befasst sich mit einer Stele, auf der das systematische Lauftraining königlicher Soldaten und ihr abschließender Wettlauf über 100 km dokumentiert sind (Siegerzeit 8 Std.). Außerdem finden wir in diesem zweiten Teil Berichte von Wettkämpfen im Ringen, Stockfechten und im Faustkampf, die anläßlich zweier Feste in Anwesenheit des Pharaos veranstaltet wurden sowie die Besprechung von Malereien, die auf einer Palastwand im Nildelta gefundenen wurden und die minoische Stierspringer darstellen.
Nach zwei Exkursen in die griechische Zeit gibt es noch einen kurzen Anhang, der eine Zeittafel aller im Buch erwähnten Pharaonen, eine Karte Ägyptens und ein äußerst umfangreiches Literaturverzeichnis enthält.

Von Anfang an brachte mich der Titel des Buches zum Grübeln. Die Begriffe „Pharao“ und „Sport“ passen so gar nicht zueinander; mehrere Jahrtausende liegen zwischen ihnen. Auch Wolfgang Decker setzt sich in der Einleitung mit dieser Problematik auseinander. Er legitimiert seinen Titel dadurch, dass man ja auch die aus dem Lateinischen stammenden Begriffe Literatur, Medizin oder Religion in Verbindung mit dem Alten Ägypten verwendet, ohne es als Anachronismus anzusehen, dass es diese Begriffe zur Zeit der Pharaonen noch gar nicht gab. Warum also nicht auch den vergleichsweise modernen Begriff des Sports? Nun, ein treffliches Argument gegen die Verwendung dieses Begriffs wäre, dass sich unsere Definition dessen, was Sport ist, ganz und gar nicht auf einen ägyptischen Pharao anwenden lässt. Die Gründe, warum ein Mensch heute Sport treibt, haben etwas mit Wettkampf, Fitness oder Geselligkeit zu tun, je nachdem, ob wir uns den Leistungs-, den Gesundheits- oder den Freizeitsport ansehen. Keines dieser Motive kann aber auf Pharao übertragen werden. Die Distanz des als Gott angesehenen Herrschers zu seinen Untertanen war viel zu groß, als dass er mit ihnen gemeinsam Sport getrieben oder sich gar einem Wettkampf gestellt hätte. Und der rituelle Lauf des Pharaos anlässlich des Sedfestes, das nach 30-jähriger Regierungszeit durchgeführt wurde, sollte zwar seine Kraft und weitere Regierungsfähigkeit beweisen, aber es wird wohl niemand von einem evtl. greisen Pharao erwartet haben, dass dieser lächelnd und in die Menge grüßend um den Laufplatz joggte. Geschweige denn, dass man ihn abgesetzt hätte, wenn er zu der Laufleistung nicht mehr fähig war. Auch das Motiv der Fitness muss also hinter dem Herrschaftsritual deutlich zurückstehen. Eigentlich kann man nicht wirklich sagen, dass die Pharaonen Sport getrieben haben. Der Lauf beim Sedfest und das Wegschlagen des Balles haben rein symbolische Bedeutung, Bogenschießen und das Fahren des Streitwagens sind Teile der Militärausbildung, die der Pharao als oberster Feldherr zumindest in den Augen seiner Untertanen beherrschen musste, und die Jagd oder das Senet-Spiel müssen wohl eher als königlicher Zeitvertreib, denn als Sport angesehen werden.
Mag es aus etymologischer Sicht also vertretbar sein, so scheint es mir inhaltlich dennoch fragwürdig, das Begriffspaar Sport und Pharao im Titel zusammenzubringen. Aber vielleicht bleibt genau deswegen der Buchtitel so gut im Gedächtnis?

Der Autor versucht den ambitionierten Spagat zwischen einer halbwissenschaftlichen Arbeit und einem allgemeinverständlichen Sachbuch. Dies gelingt rein formal allerdings nicht immer. Ein Leser ohne ägyptologischen Hintergrund merkt erst, nachdem er weder am Fuß der Seite noch im Anhang die kleinen hochgestellten Zahlen gefunden hat, dass es sich hierbei anscheinend gar nicht um Fußnoten handelt. Ebenfalls dürfte er verwirrt sein, was denn die in unterschiedliche Klammern eingefassten Einschübe innerhalb von Übersetzungen bedeuten sollen. Nirgendwo wird der Unterschied zwischen den eckigen und den runden Klammern erläutert, und auch für die hochgestellten Zahlen sucht man eine Erklärung vergeblich. Schließlich zeigen auch etliche lateinische Ausdrücke und eine ganze Reihe von nicht näher erläuterten Fachbegriffen, wie „sumerisches Lugalbandaepos“ oder „Orthostat“, dass der Autor ein wissenschaftliches Publikum gewohnt ist.
Trotzdem sollte sich der interessierte Laie nicht abschrecken lassen, das Buch zu lesen. Es ist in weiten Teilen sehr verständlich geschrieben und bietet durch die recht kompakten und in sich abgeschlossenen Kapitel die Möglichkeit, sich dem Gesamtthema quasi häppchenweise zu nähern. Wer nur eine Viertelstunde Zeit zum Lesen hat, sucht sich einfach eines der kürzeren Kapitel aus, auch wenn dies bspw. im hinteren Teil des Buches angesiedelt ist. Durch die vielen Fotos – es gibt fast keine Seite ohne Bild – werden die meisten Themen durchaus anschaulich und verständlich aufbereitet. Dennoch hat das Buch für den normalen Ägypteninteressierten auch einige Längen, wenn es z.B. um das genaue Konstruktionsprinzip der Kompositbögen oder auch der Streitwagen aus Tutanchamuns Grab geht, die sämtlich in tabellarischer Form mit Spurweite, Nabenlänge und Raddurchmesser vorgestellt werden. Aber wen diese Details nicht interessieren, der kann ja weiterblättern.

Das großformatige (DIN A4) und auf hochwertigem Papier gedruckte Buch besticht durch die vielen Abbildungen der Reliefs und Artefakte. Nicht umsonst ist es in der Reihe »Zaberns Bildbände zur Archäologie« erschienen. Auf 108 Seiten finden sich über 100 Fotos und Zeichnungen von Sportgeräten, Darstellungen sportlicher Wettkämpfe sowie von antiken Texten, welche komplett oder auszugsweise übersetzt werden. Beeindruckend sind vor allem die ganzseitigen Abbildungen sportlicher Motive. Mein persönliches Highlight aus sportlicher Sicht sind die verschiedenen Darstellungen der Ringer und Stockfechter am Totentempel Ramses‘ III. in Medinet Habu, von denen eine ja auch Umschlagbild geworden ist. Hier ist der Begriff „Sport“ wirklich angebracht. Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen und bauen nicht aufeinander auf. Die Texte sind sprachlich recht anspruchsvoll und erfordern zum vollen Verständnis eine gewisse Vorbildung, mindestens aber eine gute Allgemeinbildung und den Willen, sich mit schwierigen Textpassagen intensiver auseinander zu setzen. Sicherlich ist dieses Buch daher hauptsächlich für Geschichts- oder Sportstudenten geeignet, deren Semesterthema „Sport in der Antike“ lautet. Aber auch der am Alten Ägypten interessierte „Couchsportler“ wird den Kauf nicht bereuen und darin manch neue Information über sein Steckenpferd finden. Für die hervorragende Papier- und Druckqualität waren die ursprünglichen knapp 40 Euro durchaus gerechtfertigt. Inzwischen ist das Buch erheblich günstiger zu bekommen und damit ein echtes Schnäppchen.

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