Pharao Cheops und die Zaubermärchen

Eines Tages ließ Pharao Cheops seine Söhne zu sich rufen, damit sie ihm eine Geschichte erzählten. Einer seiner Söhne berichtete über ein Wunder, das in der Regierungszeit Pharao Djosers passierte, woraufhin Cheops seinem Vorfahr ein reichhaltiges Opfer darbrachte.

Cheops-Pyramide
Berühmt wurde Cheops vor allem durch seine Pyramide in Gizeh, die mit knapp 147m die größte ist.

Chephren trat hervor, um seinen Vater eine Geschichte aus der Zeit des Pharaos Nebka zu erzählen.

Das Zauberkrokodil

Als der Oberste Vorlesepriester Ubaoner mit dem Pharao nach Memphis ging, nutzte seine Ehefrau die Abwesenheit ihres Mannes aus, um mit einem Mann aus dem niederen Volk ein Verhältnis anzufangen. Zuerst verbrachten sie ihre Schäferstündchen an geheimen Orten, doch dann kam der Liebhaber auf die Idee, sich in der wunderschönen Laube im Garten des Ubaoner zu vergnügen. Die Ehefrau begrüßte die Idee und ließ vom Haushofmeister die Laube herrichten.

Dort verbrachten die beiden Geliebten den Tag. Am Abend trat der Mann aus der Laube heraus und ging in den Teich zum Schwimmen. Leider wurde er dabei vom Haushofmeister beobachtet und der erzählte am nächsten Tag alles seinem Herrn. Als Uboaner von der Verfehlung seiner Frau hörte, wurde er sehr traurig. Er befahl seinem Haushofmeister, seine Zauberbücher und Zaubergerätschaften aus Ebenholz und Gold zu holen. Aus Wachs formte er dann ein Krokodil von sieben Fingern Länge und belegte es mit einem Zauberspruch. Er befahl dem Haushofmeister, das Wachs-Krokodil in den Teich zu werfen, sobald der Geliebte seiner Frau das nächste Mal ins Wasser stiege.

Am darauffolgenden Tag befahl die Ehefrau von Ubaoner dem Haushofmeister erneut, die Laube herzurichten. Und wie zuvor stieg der Geliebte nach getaner Arbeit in das kühle Wasser des Teiches. Als dies geschah, warf der Haushofmeister sofort das Wachs-Krokodil in den Teich, woraufhin es sich in ein echtes Krokodil von 7 Ellen Länge verwandelte und den Mann tötete.

Krokodil
Dieses Abbild eines Krokodils diente einst als Weihgabe für den Krokodilsgott Sobek
Museum in Kom Ombo

Sieben Tage lag sein Körper tot im Gartenteich und in diesen sieben Tagen blieb Ubaoner seinem Haus fern und verweilte im Palast des Pharaos. Am siebten Tag bat der Oberste Vorlesepriester den Pharao Nebka, mit ihm zu seinem Haus zu kommen, um sich das Wunder anzuschauen.

Als sie am Teich angekommen waren, befahl Ubaoner dem Krokodil, den toten Geliebten seiner Frau zu bringen. Das Krokodil gehorchte und schleppte den toten Körper an Land und ließ ihn los, sobald der Vorlesepriester dies befahl.

Pharao Nebka bewunderte die Schrecklichkeit dieses Wesens und kaum waren seine Worte ausgesprochen, packte Ubaoner es und es wurde wieder zu Wachs in seinen Händen. Der Oberste Vorlesepriester erzählte Nebka von der schrecklichen Tat seiner Frau und dieses Mannes. Als er die Geschichte beendet hatte, befahl der Pharao dem Krokodil, sein Werk zu vollenden.

Das Krokodil wurde wieder lebendig, schnappte sich den Leichnam und zog ihn bis auf den Grund des Teiches. Niemand sah die beiden jemals wieder. Die Ehefrau aber wurde auf Befehl des Pharaos an den Pranger gebracht und dort bei lebendigem Leibe verbrannt.

Nachdem Chephren seine Geschichte beendet hatte, befahl Cheops wieder ein großes Opfer für Pharao Nebka und ein kleines für den Obersten Vorlesepriester Ubaoner.

Die Bootsfahrt von Pharao Snofru

Danach begann ein weiterer Sohn des Cheops, Baufre, seine Geschichte, die in der Zeit von Cheops‘ Vater Snofru geschah. Und, wie er versicherte, niemals davor und auch niemals wieder danach geschehen würde.

Eines Tages wanderte Pharao Snofru lustlos und ziellos durch seinen Palast. Er suchte Zerstreuung, aber er hatte keine Ahnung, wie er sie finden konnte. Also rief er seinen Obersten Vorlesepriester Djadja-em-anch zu sich, um ihn um Rat zu bitten. Und dieser hatte tatsächlich eine gute Idee. Der Pharao solle ein Schiff rüsten, auf dem sich alle schönen Mädchen seines Harems einfinden sollten. Das Herz des Pharaos würde sich beim Anblick der rudernden Mädchen und seines wundervollen Reiches, mit den Vogelsümpfen, seinem See, seinen Feldern und Ufer erfreuen.

Snofru, begeistert von dieser Idee, ließ 20 goldverzierte Ruder aus Ebenholz kommen, sowie die 20 schönsten Frauen seines Harems. Sie sollten wohlgeformte Brüste und noch kein Kind bekommen haben. Anstelle eines Kleides sollten sie ein Netz am Körper tragen.

Nur wenig später ruderten 20 wunderschöne Frauen, nur bekleidet mit einem Netz, den Pharao stromauf und stromab. Plötzlich verlor eine der Schlagführerinnen ihr Fischschmuckstück aus Türkis und es fiel ins metertiefe Wasser. Entsetzt über ihren Verlust, hörte sie sofort auf zu rudern und ihre Begleiterinnen taten es ihr gleich. Als Snofru sich verwundert fragte, warum seine schönen Damen nicht mehr ruderten, hörte er von dem Verlust. Er versprach der Frau einen Ersatz, doch sie wollte nur dieses eine Schmuckstück wiederhaben.

Der Oberste Vorlesepriester wusste Rat. Er murmelte einen Zauberspruch, woraufhin eine Hälfte des Sees sich rauschend über die andere stülpte. So konnte die Mannschaft den Grund des Sees sehen und da lag auch tatsächlich, auf einer Scherbe liegend, das Schmuckstück. Nachdem Djadja-em-anch der Dame das Schmuckstück zurückgegeben hatte. Ließ er die eine Hälfte des Sees wieder in seine ursprüngliche Lage zurückfließen.

Nachdem Baufre die Geschichte geendet hatte, veranlasste Cheops erneut ein großes Opfer. Dieses Mal für seinen Vater Snofru. Der Oberste Vorlesepriester Djadja-em-anch erhielt ein kleines.

Der unglaubliche Dedi

Nun meldete sich der nächste Sohn, Hardjedef, zu Wort. Sein Vater habe nun viele Geschichte aus der Vergangenheit gehört, doch er wisse nicht, ob sie wahr wären. Er jedoch könnte ihm ein Wunder zeigen, dass hier und jetzt passierte…

Gans, Sohn der Sonne
Die Abbildung einer Gans zusammen mit einer Sonne finden wir oft vor oder nach Königskartuschen. Die Bedeutung der beiden Hieroglphen lautet „Sohn der Sonne“ (sa ra)

Hardjedef kenne einen 110 Jahre alten Mann, der in der Pyramidenstadt des Snofru wohnen würde und jeden Tag 500 Laibe Brot und einen halben Ochsen essen sowie 100 Krüge Bier trinken würde. Außerdem wisse dieser Mann, wie man einen abgeschnittenen Kopf wieder ansetzen und einen wilden Löwen ganz zahm die Leine hinter sich herschleifen lassen könnte. Und dieser Mann kenne außerdem die Anzahl der Kammern des Heiligtums von Thot.

Bei diesen letzten Worten wurde Cheops hellhörig, denn er suchte schon lange nach den geheimen Kammern des Weisheitsgottes Thot. Und so schickte er seinen Sohn los, um den Mann namens Dedi an den Königshof zu holen. Und so geschah es.

Als Dedi vor dem König stand, wollte dieser auch so gleich das Wunder des abgeschnittenen Kopfes sehen und befahl einen totgeweihten Verbrecher aus den Kerker zu holen. Erschrocken beschwor Dedi den Pharao, dieses nicht mit einem Menschen zu tun. Und so brachte man ihm eine Gans. Sie schnitten ihr den Kopf ab, legten diesen an das eine Ende der Empfangshalle und den Körper an das andere. Dedi murmelte eine paar Zauberworte und sowohl Körper als auch Kopf der Gans gingen aufeinander zu und vereinten sich wieder. Die Gans erwachte zu neuem Leben und schnattere aufgeregt. Das Gleiche geschah mit einer Ente und einem Rind, die nach der Vereinigung ihres Kopfes und Körpers munter gackerten bzw. brüllten.

Ob es denn auch wahr wäre, dass Dedi einen Löwen bändigen könne, fragte der Pharao. Man holte einen wilden Löwen, der unbändig an seiner Leine zerrte. Nach Dedis Zauberspruch lief der Löwe friedlich hinter ihm her und seine Leine schleifte auf dem Boden.

Und so fragte der Pharao Dedi nun das, worauf er besonders begierig war, es zu erfahren: ‚Wie viele Kammern hat das Heiligtum des Thot?‘ Dedi entschuldigte sich mit dem Worten, dass er es nicht wisse. Aber er kenne den Ort, wo sich dieses Heiligtum befände. Es läge in Heliopolis in einer Kiste, die in einer Kammer mit dem Namen „Archiv“ stünde.

Der Pharao befahl Dedi, dieses sofort zu holen. Doch Dedi erklärte Cheops, dass nicht er, sondern das älteste der drei Kinder, die noch im Leib der Ruddedet seien, es ihm bringen würde.

Der Pharao fragte, wer denn diese Dame Ruddedet wäre und Dedi erzählte ihm, dass sie die Frau eines Priesters sei, die mit drei Kindern des Sonnengottes Re schwanger wäre. Und diese drei Kinder würden einmal Pharao werden.

Cheops wurde über diese Worte sehr traurig, denn seine Linie würde nach dieser Prophezeiung nicht weiter regieren. Doch Dedi versprach ihm, dass zuerst sein Sohn und sein Enkel auf dem Thron Ägyptens sitzen und dann erst die drei Kinder Ruddedets Ägypten regieren würden.

Cheops erklärte Dedi, dass er gerne bei der Geburt dabei sein würde, doch der von Dedi vorausgesagte Termin läge genau in dem Zeitraum, wenn der Kanal trocken liegen würde und er nicht aufs andere Ufer übersetzen könne. Daher versprach Dedi, dass er das Wasser des Kanals steigen lassen würde, damit der Pharao zur rechten Zeit hinübersetzen könnte. Cheops gab Dedi eine Unterkunft bei seinem Sohn Hardjedef und sorgte mit großzügigen Gaben für sein Leib und Wohl.

Die Geburt der drei Königskinder

Noch am gleichen Tag bekam Ruddedet starke Wehen. Der Gott Re schickte die Götter Isis, Nephthys, Meschenet, Heket und Chnum los, um die Frau bei der Geburt seiner Söhne zu unterstützen. Um nicht erkannt zu werden, verwandelten sich die Göttinnen in Tänzerinnen und Chnum trug ihr Gepäck.

Steinblöcke mit Chnum
Steinblöcke mit dem Abbild des Gottes Chnum. Sie gehörten einst zu seinem Tempel, der heute fast zerstört ist.
Insel Elephantine

Sie gingen zum Haus des Rewosers, des Ehemannes der Ruddedet, und fingen an mit ihrer Darbietung. In seiner Verzweiflung über die schwere Geburt seiner Frau, bat er die Tänzerinnen um Hilfe. Diese sagten sofort zu, denn sie verstünden etwas vom Entbinden. Sie gingen eilig zu Ruddedet und schlossen die Tür hinter sich zu. Isis stellte sich vor die Gebärende, Nephthys dahinter und Heket beschleunigte die Geburt.

Sie gaben den Kindern einzeln einen Namen, durchschnitten die Nabelschnur und legten sie auf ihr Bettchen. Chnum formte auf seiner Töpferscheibe den perfekten Leib für die Kinder, welche die Namen Userkaf, Sahure und Neferirkare erhielten. Rewoser war außer sich vor Freude und gab als Zeichen seines Dankes Chnum einen Sack Gerste zum Bierbrauen mit. Als die Götter wieder in ihrem Heim waren, fragte Isis sich, wie sie denn eigentlich gehen konnten, ohne für die Kinder des Re ein Wunder vollbracht zu haben? So formten die Götter drei Kronen und legten sie in den Sack Gerste.

Dann ließen sie ein heftiges Unwetter aufziehen. Sie gingen zurück zum Haus des Rewoser und baten ihn darum, ihren Sack Gerste für sie zurückzulegen, bis sie aus dem Norden zurückkehren würden. Denn bei diesem Wetter würde die Gerste nur nass und faul werden. Rewoser verschloss sie sicher in einer dunklen Kammer.

Während ihrer 14-tägigen Reinigung fragte Ruddedet ihre Dienerin, ob das Haus gut versorgt sei. Alles sei in ausreichender Zahl vorhanden, antwortete die Dienerin, nur Getreidekrüge hätte man nicht gebracht, da nichts da wäre, um sie zu befüllen. Daraufhin befahl Ruddedet die Gerste der Tänzerinnen zu holen, die ihr Mann natürlich wieder ersetzen würde. Als die Dienerin die Kammer öffnete, schallte ihr ein großer Jubel und Laute von Gesang, Musik und Tanz entgegen, genau wie man einen Pharao begrüßte. Erschrocken holte die Dienerin sofort ihre Herrin. Zusammen suchten sie nach dem Ursprung dieser Laute und schließlich fand Ruddedet die Quelle in dem Sack der Tänzerinnen. Sie wusste nun, dass sie drei Könige geboren hatte und zusammen mit ihrem Mann freute sie sich über alle Maßen.

Einige Zeit später bestrafte Ruddedet ihre Dienerin mit Schlägen. Verbittert machte sich die Dienerin auf zu König Cheops, um ihn über die Geburt der drei Königskinder zu unterrichten. Auf dem Weg traf sie ihren Halbbruder, der sie nach ihrem Ansinnen fragte. Die Dienerin erzählte ihm alles und der Bruder wurde wütend, weil sie ihn nun in diese Geschichte mit hineingezogen hatte und schlug sie mit einem Flachsstrang. Die Dienerin lief davon, um Wasser zu holen. Dort schnappte sie ein Krokodil und verschlang sie…

Erläuterungen – Der Papyrus Westcar

Hier endet die Geschichte. Der Schreiber hat sie nicht weiter abgeschrieben und auch der Anfang des Märchens fehlt. Man darf zumindest annehmen, dass Cheops doch noch Wind von der vorzeitigen Geburt der drei Kinder bekommen hat und sie gnadenlos jagen ließ. Das würde auch zu der späteren Beschreibung Herodots passen, der Cheops als despotischen und grausamen Herrscher beschrieb. Wenn es in dieser Geschichte wirklich Nachstellungen seitens Cheops gegeben hat, so waren sie höchstwahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt, denn die drei Brüder regierten Ägypten tatsächlich. Wenn sie in der Realität auch keine Brüder waren. Ruddedet war nicht die Frau eines Priesters, sondern entstammte der Königsfamilie und hieß eigentlich Chenet-kau-es. Nur Userkaf war ihr Sohn, während Sahure und Neferirkare ihre Enkel waren.

Das Märchen steht auf dem so genannten Papyrus Westcar, der sich heute in der Papyrussammlung des Ägyptischen Museums Berlin befindet. Der Text selbst stammt aus der frühen Zeit der Hyksos (ca 1648-1539 v. Chr.), sein Ursprung liegt aber wahrscheinlich im Mittleren Reich.