Für ein ewiges Leben im Jenseits hatten die Hinterbliebenen einige Pflichten für den Totenkult des Verstorbenen zu erfüllen. Im Gegenzug richteten die Verwandten ihre Bitten und Gebete an die Verstorbenen, die sie in kleine Briefe schrieben und in die Gräber legten. Doch die Toten konnten ihnen nicht nur Gutes tun, sondern die Lebenden auch mit bösen Flüchen versehen. Andersherum konnten die Diesseitigen auch das ewige Leben eines Verstorbenen durch Zerstörungen und Verwünschungen auslöschen.
Opfer für das ewige Leben des Toten
Nach der → Mumifizierung und der anschließenden Bestattung, hatte der älteste Sohn dafür zu sorgen, dass der Verstorbene auch im Jenseits gut versorgt war. Dafür mussten Rituale sowie Speise- und Trankopfer durchgeführt werden, die er in einer Kultkapelle des Grabes vollzog.
Ein Opfer für die Ka-Seele
Im Alten Reich hatten die Kapellen eine Scheintür, aus der die Ka-Seele in die diesseitige Welt hindurchschlüpfen konnte. Die Opfer konnten auch vor einer Statue des Verstorbenen, in die der Ka sich niederlassen konnte, oder einer Stele dargebracht werden. Die Rituale sollten bei der sich ständig wiederholenden Auferstehung des Toten helfen. Durch die Opfergaben stellte man die ausreichende Versorgung des Ka sicher.
Natürlich erwartete keiner, dass die Speisen und Getränke am nächsten Tag verschwunden waren. Es reichte schon, dem Ka die Opfer darzubieten, damit er sich auf magische Weise davon ernähren konnte. Auf nicht ganz so magische Weise nährten diese Opfergaben aber auch so manchen Priesterbauch. Denn wenn der Grabherr keine Kinder hatte, stellte er schon zu Lebzeiten Priester ein, die diese Aufgabe übernehmen sollten.
Ab der 2. Generation wird sich wahrscheinlich keiner mehr dazu verpflichtet gefühlt haben, den Verstorbenen mit Fleisch und Gemüse, Wasser und Bier zu versorgen. Daher finden wir in jedem Grab gemalte Speisen und Getränke oder eine schriftliche Aufzählung von Lebensmitteln, die den Ka des Grabherrn auf magische Art und Weise bis in alle Ewigkeit mit Nahrung versorgen sollte. Kraftvoll war auch die Macht des Wortes. Auf Gedenkstelen, die vor einigen Gräbern standen, finden wir flehentliche Worte. Der Vorbeiziehende sollte doch bitte aussprechen, dass der Verstorbene tausend Brote und tausend Krüge voll Bier erhalten sollte.
Briefe mit guten Wünschen an die Toten
Mit ihren Sorgen und Bedürfnissen wandten sich die Ägypter nicht nur an ihre Götter, sondern auch an ihre seligen Verstorbenen, die ja nunmehr als vergöttlichtes Ach-Wesen durch die Unterwelt streiften, aber andererseits auch die Lebenden besuchen konnten.
Die Hinterbliebenen schrieben kleine Texte auf Tongefäße, Leinen oder Papyrus. Sie waren wie Briefe verfasst, mit Empfänger, Absender und manchmal auch mit einer kleinen Grußformel und der Nachfrage nach dem Befinden des Verstorbenen. Die Verwandten legten in den Kultraum des Grabes ihre mit Bitten beschrifteten Tonschalen, in die sie kleine Leckereien legten, um den Verstorbenen für ihr Anliegen zu erwärmen.
Alltägliche Anliegen und Vertreibung böser Geister
Die Verwandten hatten meist alltägliche Anliegen, die oft mit der Familie selbst zu tun hatten. Dies konnten Familienstreitigkeiten sein, die der Verstorbene schlichten sollte, Krankheiten sollte er heilen oder den Kinderwunsch einer Frau erfüllen.
Die gefunden Texte sprechen oft von bösen Geistern, von der die Familie heimgesucht wurde und die der Tote wieder vertreiben sollte. „Da Du auf Erden eine glänzende Position innehattest, wird Deine Position in der Totenstadt eine gute sein.“, appelliert der Verfasser eines Briefes an den Verstorbenen, der sein Anliegen erfüllen sollte. Seine gute Stellung würde es ihm doch sicher ermöglichen, die bösen Geister von seiner Familie fernzuhalten.
Ein anderer Bittsteller listet seine guten Taten auf, die er zu Lebzeiten des Toten für diesen getan hatte. Und dieser sei ihm deswegen ja wohl noch was schuldig.
Mal geschwätzig, mal unterwürfig
Der Ton der Briefe an die Toten ist immer sehr persönlich gehalten, mal geschwätzig, mal unterwürfig, manchmal sogar vorwurfsvoll. Ein Witwer beklagt sich bei seiner verstorbenen Ehefrau, warum sie gegen ihn Groll hege. Er habe sie doch immer gut behandelt und ihren Totenkult ordnungsgemäß durchgeführt. Die Verstorbenen konnten nämlich nicht nur Gutes tun, sondern den Menschen auch schaden.
Flüche und Verwünschungen
Nicht nur die Toten konnten den Lebenden Leid zufügen, sondern auch umgekehrt. Name und Abbildungen des Grabherrn konnten ausgehackt, seine Mumie zerstört werden. Wenn sein Name ausgelöscht war fanden seine Seelen das Grab und seinen Körper nicht mehr und er starb den endgültigen Tod.
Eine solche Zerstörungswut finden wir bei einigen Mitgliedern von Echnatons Familie. Echnaton wurde wegen seines Ein-Gott-Glaubens verfemt, weshalb man alle Bildnisse und Namen von ihm zerstört hat.
Doch es waren noch andere recht effektive Maßnahmen bekannt, um dem Verstorbenen einen endgültigen Tod zu bereiten. Dazu beschrieb man Töpfe und Figuren mit Fluchformeln, die in großer Anzahl den Namen des Verfluchten enthielten. Geister wurden in der Fluchformel beschwört, die bei der Vernichtung des Unglückseligen helfen sollten. Dazu legte man die Figuren in verlassene Gräber, deren Besitzer über viele Jahre keinen Totenkult erhalten hatten. Die Verschwörer zählten auf den Zorn der vergessenen Toten und hofften, dass diese sich der Sache schon annehmen würden.
Die Figuren konnten zusätzlich noch mit kleinen Messern und Nadeln durchbohrt werden, ähnlich wie bei einem Voodoo-Zauber. Anschließend zerbrach und verbrannte man sie. Die so Verfluchten konnten eine verfeindete Familie sein, Verbrecher oder Verschwörer. Aber man fand auch Figuren mit Namen noch lebender Herrscher aus verfeindeten Nachbarstaaten. Die Intention solcher Verfluchungen war aber immer die gleiche: ein endgültiger Tod.