Ungewöhnlich ist die Geschichte des Sinuhe deshalb, weil sie so lebendig und ausdrucksstark geschrieben wurde. Dies findet man nicht gerade oft in alten Grabinschriften, in denen sich meistens nur trockene und starr erzählte Lebensgeschichten finden, bei der nur die Aufzählung der Titel und die Glanzleistungen, die man verbracht hat, eine Rolle spielen. Die Geschichte ist so zeitlos, dass sie den finnischen Schriftsteller Mika Waltari zu seinem Welterfolg „Sinuhe der Ägypter“ inspirierte. Das Buch wurde 1945 geschrieben und sollte von jedem Ägypten-Interessierten gelesen werden. Auch der 1954 nach Vorlage von Michael Curtiz produzierte Film ist sehenswert.
Aber nun zur Geschichte:
Kronprinz Sesostris weilt nach einem Feldzug in Libyen, als ihn in seinem Feldlager eine schreckliche Nachricht erreicht: Sein Vater, der große Pharao Amenemhet I. ist tot! Sofort reist er, ohne sein Heer von dem Unglück zu unterrichten, zurück nach Ägypten, um die Thronfolge zu regeln. Zeitgleich wird auch nach den anderen Königskindern geschickt. Sinuhe bekommt eins der heimlichen Gespräche mit den Söhnen des Pharaos zufällig mit und gerät in Panik. Er fürchtet einen Streit um die Nachfolge des Pharaos.
Sinuhe flieht durch unwegsames Gebiet, weitab der Straßen, durch mehrere Länder bis er nach Retenu (liegt ungefähr im heutigen Palästina) gelangte. Dort angekommen, wird er von einem Fürsten des Landes aufgenommen, der den in seiner Heimat sehr angesehenen Sinuhe von seinen Reisen nach Ägypten kennt. Der großzügige Fürst gibt ihm seine Tochter zur Frau und schenkt ihm die schönsten Länder seines Herrschaftsgebietes. Als Befehlshaber der Truppen macht Sinuhe Karriere und beendet jeden Feldzug mit einem Sieg und einer reichhaltigen Beute.
Aber sein Reichtum und seine Beliebtheit erwecken auch Neid. Ein starker Krieger eines benachbarten Stamms fordert ihn zu einem Kampf auf, bei dem der Sieger sämtliche Besitztümer des Verlierers erhalten soll. Das ganze Land strömt zusammen, um Zeuge dieses spannenden Zweikampfes zu werden. Der Kampf beginnt. Der Herausforderer schießt alle seine Pfeile auf Sinuhe, doch der kann allen geschickt ausweichen. Wütend darüber stürmt der Gegner auf ihn los, doch Sinuhe nutzt die Gunst der Stunde und schießt einen Pfeil direkt in den Hals des Unglücklichen. Er erhält alle Besitztümer des Kriegers und sein Reichtum und sein Ansehen sind nun noch viel größer als zuvor.
Nun kann Sinuhe viele Jahre in Frieden und Wohlstand verbringen, doch die Sehnsucht nach seinem geliebten Ägypten wird immer größer. Ein Brief von Pharao Sesostris I., dem man Sinuhes Ruhm mittlerweile zugetragen hatte, ruft ihn nach Ägypten zurück. Und er folgt den Ruf zu gerne, auch wenn er sich nicht sicher ist, ob er nach seiner unrühmlichen Flucht und nach all den Jahren am Königshof verweilen darf.
Bei seiner Audienz vor dem Pharao fällt er vor Aufregung in Ohnmacht und als sich die Königin und der König dann auch noch über seine asiatische Tracht lustig machen, scheint alles vorbei. Doch die Königskinder stimmen ihren Vater mit einem schönen Lied gnädig und so darf Sinuhe bis ans Ende seiner Tage am Hofe bleiben. Er erhält ein schönes Landhaus und der Pharao schenkt ihm ein prachtvolles Grab.
Von der Geschichte des Sinuhe gibt es einige Abschriften auf Papyri und Ostraka. Die vollständigste stammt aus dem Mittleren Reich und wird in der Papyrussammlung des Ägyptischen Museums Berlins aufbewahrt.