In Wadi Natrun, in der Wüste westlich des Nildeltas, lebte ein Bauer namens Chunanup auf einem kleinen Hof. Eines Tages beschloss Chunanup, in das Nildelta zu gehen, um seine Waren gegen Vorräte für seine Familie einzutauschen. Also machte er sich mit seinen vollbepackten Eseln auf die beschwerliche Reise.
Chunanups Unrecht
Sein Weg führte ihn an das Landgut des Dschehutinacht. Diesem gefielen Chunanups Esel so sehr, dass er sich eine List ausdachte. Er legte ein kostbares Leinentuch auf den Weg, den Chunanep mit seinen Eseln gehen musste.
Links des Weges führte ein Kanal, rechts des Weges standen Dschehutinachts Kornfelder in voller Pracht. Chunanep blieb also keine Wahl – entweder musste er mit seinen Eseln über das teure Leinentuch oder aber durch das Kornfeld. Egal, wofür er sich entschied, Dschehutinacht stand bereit, um als Ersatz für das dreckige Leinentuch oder die zertrampelte Gerste Chunaneps Esel einzufordern. Dieser aber erkannte, was der hinterhältige Bauer vorhatte und forderte ihn auf, das Leinentuch zu entfernen. Während sie diskutierten fraßen die Esel einen Teil der Gerste. Dschehutinacht jubilierte, denn sein Vorhaben schien aufzugehen. Chunanep bot ihm an, die gefressene Gerste zu ersetzen, weigerte sich aber, ihm für den geringen Schaden seine Esel zu überlassen und drohte damit, sich an den Oberdomänenvorsteher Rensi zu wenden.
Dschehutinacht verprügelte ihn wegen dieser Drohung und drohte ihn umzubringen, falls er ihn noch weiter belästigen sollte. Er ließ den entsetzen Chunanep links liegen und machte sich mit den zu Unrecht erhaltenen Eseln davon. Der Betrogene flehte ihn 10 Tage lang an, ihm seine Esel wiederzugeben aber Dschehutinacht blieb stur.
Die Anklage
Schließlich wandte sich Chunanep verzweifelt an den Oberdomänenvorsteher Rensi, der gegen Dschehutinacht Anklage erhob und den Fall an das zuständige Gericht weiterleitete. Die Beamten des Gerichtes weigerten sich zuerst, Chunanep anzuhören, aber nachdem Rensi ein Machtwort gesprochen hatte, wurde er doch angehört und verstand es mit wunderbaren Worten und Schmeicheleien, Rensi auf seine Seite zu ziehen.
Der Oberdomänenvorsteher war so beeindruckt von Chunaneps Worten, dass er dem Pharao den Fall schilderte. Auch dieser war begeistert von Chuaneps Rhetorik und verlangte, dass dieser ungehindert reden und seine Worte schriftlich niedergelegt werden sollten. Für die Dauer der Verhandlung schickte Pharao ihm und seiner Familie Lebensmittel sogar als Entschädigung.
Insgesamt acht Mal trat Chunanep vor Rensi, glänzte mit rhetorischen Mitteln, lobte den Gerechtigkeitssinn des Oberdomänenverwalters und appellierte an dessen Mitleid. Von der eigentlichen Verhandlungssache, die Rückgabe seiner Esel, war nun keine Rede mehr. Chunanep beschwerte sich schließlich aber auch über die Dauer des Verfahrens, bis es Rensi zu weit ging und er ihn noch vor Gericht verprügeln ließ.
Verbittert über diese Reaktion verließ Chuanep den Gerichtssaal, nicht ohne allerdings sein ungehindertes Rederecht noch ein letztes Mal zu nutzen. Wortreich rechnete er mit Rensi ab, den er als unfähig und bestechlich bezeichnete. Danach wandte er sich um und ging durch die Tür.
Als er von zwei Amtsdienern zurückgeholt wurde, befürchtete er schon weitere Prügel, doch es war ihm mittlerweile egal. Der Tod würde ihm wenigstens von diesem Elend erlösen. Umso überraschter war er, als seine vorangegangen Klagen noch einmal vorgetragen und danach zum Pharao geschickt wurden. Der Pharao war erfreut über Chunaneps Rhetorik und seine ehrlichen Worte und befahl Rensi, im Sinne von Chunanep zu entscheiden. Der Übeltäter Dschehutinacht musste vor Gericht erscheinen.
An dieser Stelle ist die Geschichte nur noch bruchstückhaft erhalten und es ist nicht bekannt, wie das Urteil von Rensi ausfiel. Vermutlich musste Dschehutinacht die Esel an Chunanep zurückgeben. Weil dieser es geschafft hatte, die Gunst des Pharaos zu gewinnen, musste der Angeklagte wahrscheinlich noch eine empfindliche Strafe an seinen Gegenspieler abtreten. Vielleicht konfiszierte das Gericht sogar seinen gesamten Besitz und übertrug ihn an Chunanep.
Ob diese Geschichte so wirklich passiert ist oder sie der Feder eines Schriftstellers entstammte, der sich seinen Unmut über die ägyptischen Gerichtshöfe von der Seele schreiben oder vielleicht auch einfach nur unterhalten wollte, wissen wir nicht.