Recht und Ordnung

In Ägypten sorgte ein großer Trupp an Polizisten für Recht und Ordnung. Man nannte sie Medjai. Sie waren ursprünglich Nomaden aus der östlichen Wüste, die als Söldner angeworben wurden. Später traten auch Ägypter in den Stand eines Medjais, die für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich waren.

Das Gesetz ist die Maat!

Maat ist ein Begriff, den man immer wieder im Zusammenhang mit dem alten Ägypten hört. Heute könnte man die Maat mit Weltordnung und Harmonie übersetzen. Ohne dem Wissen was Recht und was Unrecht ist, hätte die Weltordnung ins wanken geraten und Ägypten ins Chaos stürzen können. Auf die Einhaltung der Maat zu achten, war Aufgabe des Pharaos. Ob die Pharaonen allerdings wirklich selbst Gesetztestexte verfasst haben, ist unbekannt. Einige rühmten sich zwar damit, aber das taten auch so manche Wesire, die sich in ihren Gräbern stolz als Verfasser von Rechtstexten verewigten.

Maat
Maat wurde als Göttin mit einer hohen Feder auf dem Kopf dargestellt.
Detailansicht einer Kartusche aus
dem Tempel Sethos I. in Abydos
Neues Reich, 19. Dynastie

Vor Gericht

Leider sind nur sehr wenige, äußerst bruchstückhafte Gesetze und Dekrete überliefert. Wie viele es gab, ist dementsprechend ebenfalls ungeklärt. Der Wesir Rechmire erzählt uns in seinem Grab, dass vor seinen Füßen eine Ansammlung von 40 Schriftrollen mit Gesetzen lag. Diese Schriftrollen waren bei jeder Verhandlung zugegen und konnten auch von jedermann eingesehen werden – vorausgesetzt, man konnte lesen.

Kampf um den Schmalztopf!
Es ist nicht ganz geklärt, wie viele Gerichtshöfe es in Ägypten gab. Fest steht, dass es mindestens einen Obersten Gerichtshof (kenbet) gab. Den Vorsitz des Obersten Gerichtshofes hatte der Wesir, der als Stellvertreter des Pharaos anwesend war. Ihn unterstützte ein Richterkollegium, bestehend aus mehreren Beamten oder Priestern.
Natürlich war nicht jeder Fall wichtig genug, um ihn vor den Augen von Pharaos Stellvertreter zu verhandeln. Ein wichtiger Fall war z.B. Grabräuberei, die in Ägypten als einer der größten Frevel der Menschheit galt. Von einem überlieferten Grabräuberprozess wissen wir, dass der Wesir den Vorsitz hatte. Als Richter tagten zudem noch zwei Priester, zwei Hofbeamte, der Bürgermeister von Theben, ein Polizeileutnant und ein weiterer Beamter mit dem schmucken, aber bisher nicht identifizierten Titel „Wedelträger der Ruderer“.

Die meisten Fälle kamen vor die örtlichen Gerichtshöfe, die von mehreren Beamten geführt wurden und vor denen der Großteil des gemeinen Volkes sein Leid klagen konnte. Vor Gericht kamen aber nicht nur Straffälle, sondern es wurden auch notarielle Dinge, wie Adoption, Landbesitz, Eheverträge, usw. geregelt. Die meisten Prozesse bei den örtlich ansässigen Gerichtshöfen gingen aber um materielle Güter und versäumte Schuldzahlungen.

In manchen Dörfern gab es zusätzlich noch eine Art Schiedsgericht (seru), an denen Vornehme, Priester oder die Ältesten des Dorfes ein Urteil fällen konnten.

Götterorakel

Teilweise wurden sogar Götterorakel befragt. Wie so eine Befragung genau stattfand, ist nicht ganz geklärt. Wahrscheinlich legte man ein Ostraka (Ton-/Steinscherbe) für die Anklage und ein Ostraka gegen die Anklage gegenüber. Das Kultbild des Gottes stellte man in die Mitte der beiden Ostraka und je nachdem, in welche Richtung sich der jeweilige Gott neigte, wurde der Fall im Sinne der Anklage oder eben für den Angeklagten entschieden.

Gerechtigkeit im Lande Kemet?

Die Klage des Bauern
In der Geschichte „Die Klage des Bauern“ wird die Unzulänglichkeit des ägyptischen Rechtssystems ange- prangert. Auch wenn es vielleicht nur eine Geschichte ist…

Der Wesir als Vorsitzender des Gerichtes galt zwar als jemand, der „den Großen dem Schlechtergestellten nicht vorzieht“ und diese Maxime dürfte auch für seine niederen Richterkollegen gegolten haben, aber ob dies auch wirklich umgesetzt wurde, darf angezweifelt werden. Wir können in vielen Maximen nachlesen, wie wichtig die Einhaltung der Maat, der Gerechtigkeit, gewesen ist. Es sollte keine Standesunterschiede vor Gericht geben. Jeder Mensch war vor dem Recht gleich, jeder Mann und jede Frau, egal ob reich oder arm, sollte angehört werden.

Einflussreiche Menschen bevorzugt

Die Realität sah jedoch anders aus. In einem uns überlieferten Text bedauert ein einfacher Mann den Unglücklichen, „der allein vor Gericht steht, wenn er arm ist und sein Gegner reich“. Die erste Hürde einer Anklage bestand schon mal darin, überhaupt vorgelassen zu werden. Gerichtsdiener entschieden, ob die Anklage überhaupt wichtig genug war, um den Vorgesetzten vorgetragen werden zu dürfen. Man kann sich schon denken, dass ein Mann mit hohem Ansehen und hohem Einkommen wahrscheinlich eher Gehör fand als ein armer Feldarbeiter. Und da die meisten Maximen diesbezüglich auch Bestechungen verurteilen, scheint dies ebenfalls gängige Praxis gewesen zu sein.

Richter Ptahschepses, Imhotep Museum Sakkara
Mit übergeschlagenen Beinen und mit einer Papyrusrolle auf dem Schoß sitzt Richter Ptahschepses (der zudem noch Inspektor der Archivare und der Gottesdiener war) in der typischen Schreiberpose.
Imhotep-Museum, Sakkara
Altes Reich, 5. Dynastie

Geringe Erfolgschancen gegen mächtige Gegner

Jeder gemeine Bürger wird es sich zweimal überlegt haben, sein Anliegen wirklich vor Gericht zu bringen. Vor allem, wenn es gegen die Interessen eines Vorgesetzten oder sogar des Staates ging. Denn dann waren seine Erfolgschancen mehr als gering oder es hagelte sogar Prügelstrafen, wenn die Richter die Aussagen des Klägers unverschämt fanden. Ging es aber um persönliche Streitigkeiten unter Gleichgestellten, konnte er, je nach Gutdünken der vorsitzenden Richter, auf eine faire Verhandlung hoffen.

Verhandlung und Strafen“

Der Prozess folgte keinen starren Regeln. Die Richter hatten also genügend Spielraum, auf den jeweiligen Anklagepunkt einzugehen, konnten andererseits aber auch einen unliebsamen Angeklagten in Grund und Boden reden. Umgekehrt mögen die Fakten bei einem redegewandten Angeklagten in den Hintergrund getreten sein.

Vor Gericht angehört wurden der Kläger, der Angeklagte sowie Zeugen. Sie alle mussten einen Eid schwören, die Wahrheit zu sagen und gleichzeitig die Strafen zitieren, die im Falle eines Eidbruches auf sie warteten.

Die Strafen bei Eidbruch waren die gleichen, wie bei einer Verurteilung und gingen von Schadensersatzzahlungen und Schlägen über Zwangsarbeit bis hin zur Todesstrafe. Wollte ein Angeklagter oder Zeuge nicht aussagen, folterte man einfach die „Wahrheit“ aus ihm heraus.

Bei der Verurteilung nahmen die Richter Einsicht in die Gerichtsakten von früheren, ähnlichen Fällen und entschieden wie ihre Vorgänger. War die Beweislage eindeutig (für die Richter), folgte das Urteil auf dem Fuße und die Strafen waren nicht gerade zimperlich.

Folterung

Während der Verhandlungen griff man auch schon mal auf die Methode der Folterung zurück. Ob dabei immer die Wahrheit herauskam oder der Gefolterte einfach nur das sagte, was das Gericht hören wollte, kann sich jeder selbst denken.

Die Strafen – Von Stockschlägen bis Pfählen

Eine der häufigsten Strafen waren Stockschläge. Die Zahl 100 taucht in diesem Zusammenhang immer wieder auf. 100 Schläge und dazu noch 5 blutende Wunden waren eine häufig verhängte Strafe, die mit einem Stock oder einer Rute durchgeführt wurde. Manche Verurteilten mussten die Stockschläge auf ihren Fußsohlen ertragen, was besonders schmerzhaft war. Beamte, denen man Bestechung oder Nötigung beweisen konnte, wurden ihres Postens enthoben. Schlimmstenfalls steckte man sie zusammen mit Aufrührern und Schuldnern in ein „Arbeitshaus“, wo sie für den dortigen Tempel niedere Dienste verrichten mussten.

Besitz konfisziert

Unrechtmäßig erworbenes Gut wurde sofort konfisziert oder der Verurteilte musste sogar für den zwei- bis zehnfachen Ersatz der entwendeten Sachen sorgen. Einem Beamten konnte sein gesamter Besitz und sein Vermögen konfisziert werden und seine Frau und Kinder mussten Frondienst in den Tempeln leisten.

Abschneiden von Nasen und Ohren

Eine weitere schlimme Strafe war das Abschneiden von Nasen und Ohren. Der Verurteilte war so für sein ganzes restliches Leben als Verbrecher gekennzeichnet. Sein Leben währte aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Denn er wurde als Zwangsarbeiter in die Steinbrüche geschickt, wo schwere und gefährliche Arbeit auf ihn wartete.

Stockhiebe für säumige Steuerzahler
Ohne eine Gerichtsverhandlung wurden Strafen an den gemeinen Bauern durchgeführt, die ihre Steuerabgaben nicht leisten konnten. Säumige Steuerzahler wurden ohne Prozess direkt zu dem für die Eintreibung zuständigen Beamten geschleppt und an Ort und Stelle mit Stöcken verprügelt.

Steuereintreiber verprügeln einen Bauern im Grab des Menna
Einer der beiden säumigen Steuerzahler bekommt den Stock zu spüren
Grab des Menna (TT69), Theben-West
Neues Reich, 18. Dynastie

Die Todesstrafe

Im alten Ägypten konnte der Richter auch die Todesstrafe verhängen. Diese war besonders grausam und menschenverachtend, denn es war üblich, Verbrecher zu pfählen – ihren Körper bei lebendigem Leibe auf einen spitzen Pfahl zu rammen.

Todesurteil Pfählen
Hieroglyphen für Pfählen
Die Hieroglyphen für „pfählen“ zeigen bildhaft, was einem Verbrecher im Lande Kemet blühen konnte.

Verbrennen

Ebenfalls bei lebendigem Leibe wurden Verurteilte verbrannt, wie wir von einer Ehebrecherin aus dem Mittleren Reich wissen. In der Spätzeit war die Verbrennung eine häufige Strafe, denn die Ägypter glaubten zu dieser Zeit, dass die Flammen das Böse austreiben und zerstören würden.

Privileg Selbstmord

Angehörige des Königshauses und hohe Würdenträger bekamen das Privileg, sich selbst das Leben zu nehmen. Niedere Verbrecher warf man den Krokodilen zum Fraß vor oder ihre Leichen wurden an die Hunde verfüttert – eine besonders schlimme Strafe für die alten Ägypter, denn ohne intakten Körper konnte der Verstorbene kein Leben im Jenseits führen.

Die Gerichtsakte von Paneb – dem Schläger

Ende der 19. Dynastie wohnte im beschaulichen Arbeiterdorf Deir el-Medineh ein Mann namens Paneb. Er war Steinmetz und hatte sogar die angesehene Stellung eines Vorarbeiters inne.

Auf dem ersten Blick ein tüchtiger Arbeiter, wenn da nicht sein Image als Rauf- und Trunkenbold sowie Weiberheld gewesen wäre. Zumindest behauptet dies ein Handwerker namens Amunnacht, der Paneb auf die Anklagebank brachte.

Die harten Anschuldigungen

Amunnacht beschuldigte Paneb ihm seine von Rechts wegen zugesicherte Stelle als Vorarbeiter weggenommen habe. Außerdem hätte er seinem eigenen Adoptivvater die Tür mit einem Stein eingeschlagen und in derselben Nacht noch neun Männer verprügelt. Und als ob das noch nicht genug an schändliche Taten wäre, soll Paneb noch den Vorarbeiter Hay bedroht haben, ihn umzubringen. Er setzte sein Vorhaben aber erst mal nicht in die Tat um, sondern vergnügte sich mit verheirateten Frauen und vergewaltigte letztendlich die Ehefrau des Anklägers.

Trotz der immensen Fülle an Anschuldigungen wurde Paneb nicht verurteilt. Ob durch Bestechung, aufgrund von Fürsprechern oder ob sich die Richter vor der Rache des gewalttätigen Paneb fürchteten, bleibt ungewiss.

Ein schlimmes Sakrileg

An den Kragen ging es Paneb aber einige Zeit später, als er der Grabräuberei bezichtigt wurde. Er soll aus dem Grab des Merenptah eine hölzerne Gans gestohlen haben und aus einem anderen Grab ein Bett und Steine, um sie für sein eigenes Grab zu verwenden.

Zu allerübelst setzte sich der besoffene Paneb auch noch auf den Sarkophag des Pharaos Merenptah. Ein schlimmes Sakrileg! Paneb musste vor Gericht erscheinen, und auch wenn uns das Urteil nicht vorliegt, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dass er zum Tode verurteilt wurde. Zumindest erscheint sein Name nie wieder, und er wurde als Vorarbeiter durch jemand anderen ersetzt.