Von der Vernichtung der Menschheit

Eine löwenköpfige Göttin
Spätzeit – Ptolemäische Epoche
Metropolitan Museum of Art
Lizensiert unter Creative Commons Zero (CC0)

Vor vielen Jahrtausenden, als die Götter noch auf Erden lebten, lehnten sich die Menschen gegen die Götter auf und weigerten sich, sie mit Gebeten und Opfergaben zu preisen. Die Menschen planten sogar Anschläge auf den Sonnengott Re, denn er war mittlerweile sehr alt geworden.

Wütend über ihre Respektlosigkeit, berief Re einen Götterrat zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Er hätte die Menschen mit seinen eigenen Tränen erschaffen und nun sprächen sie gegen ihn, beklagte er sich. Er würde die Menschheit abschlachten, aber nicht, bevor er die Meinungen der anderen Götter gehört hätte. Doch sie stimmten seinem Vorschlag zu und so beschloss Re, die unwürdige Menschheit zu vernichten.

Das Land war getränkt vom Blut und Leid der Menschen

Res Tochter Hathor, in ihrer Erscheinungsform als Löwin, wurde dazu bestimmt, das grausame Werk zu verrichten. Jeden Menschen, der ihr in den Weg kam, tötete sie. Das Land war getränkt vom Blut und dem Leid der Menschen, die voller Respektlosigkeit gegenüber Re und den Göttern gewesen waren. Und Hathor fand Gefallen an ihrem Werk.

Auch Re war zuerst sehr zufrieden mit ihr, doch dann bekam er Mitleid mit seinem Volk und bereute seine Entscheidung. Doch in ihrem Blutdurst dachte Hathor nicht daran, aufzuhören und der Nil färbte sich weiterhin rot von dem Blut der vielen Menschen, die sie abschlachtete.

Hathorsäule
Säule mit dem Antlitz der Hathor
Insel Elephantine
Der Sonnengott Re – hier mit einem Skarabäus als Kopf
Grab des Irinefer (TT290), Theben-West
Neues Reich, 19. Dynastie

Res Plan – Blutrotes Bier

Also ersann Re einen Plan. Re ließ große Mengen an Bier brauen, die er mit rotem Ocker vermischte. Die ganze Nacht wurde gearbeitet, bis schließlich 7000 Maß blutrotes Bier fertiggebraut waren. Re befahl, den Trank auf die Erde zu schütten.

Hathors Rausch

Am nächsten Morgen erwachte Hathor aus ihrem tiefen Schlaf und suchte, wie jeden Tag, nach neuen Opfern. Doch heute fand sie keine. Aber sie sah das viele Blut der Menschen, das in großen Bächen auf der Erde floss und sie beschloss, ihren Blutdurst damit zu stillen. Nicht ahnend, dass es sich um Res Gebräu handelte, trank sie davon.

Und je mehr sie trank, umso mehr wollte sie davon, bis sie schließlich berauscht von dem Bier in einem tiefen Schlaf fiel. Ihr Blutdurst war für immer gestillt, die Menschheit war gerettet. Doch Re konnte nicht vergessen, was passiert war. Noch immer war er sehr enttäuscht von seinem Volk und daher verließ die Erde und lebte von da an auf dem Rücken der Himmelskuh Nut.

Erläuterungen

Diese Geschichte ist im „Buch von der Himmelskuh“ zu lesen, das auf den Grabwänden und Grabbeigaben einiger Pharaonen-Gräber zu finden ist ( Das Totenbuch). Die Handlung steht einmal als Erklärung, warum die Götter die Erde verlassen haben und in den Himmel gegangen sind, aber könnte auch als Warnung gesehen werden, dass man sich tunlichst nicht gegen die Götter auflehnen sollte. Sie erinnert an die biblische Geschichte von Noah, in der die Menschen ebenfalls gottlos geworden waren und Gott eine große Sintflut auf die Erde schickte, um die Menschheit zu vernichten.

Re befahl noch zum Ende der Geschichte, dass die Menschen als Erinnerung an dieses Ereignis ein Fest mit viel Bier feiern sollten. Das ließen sich die Ägypter nicht zweimal sagen und so wurde beim Fest der Hathor, ganz nach dem Vorbild dieser Geschichte, jede Menge Bier zu Ehren der Göttin getrunken.