Sokar – Gott der Toten

Sokar war eine bedeutende Gottheit im Totenkult der alten Ägypter, der schon seit der Frühzeit der ägyptischen Geschichte der Totengott der Nekropolen von Memphis war. Ursprünglich könnte Sokar ein Gott der Metallverarbeitung gewesen sein, bevor er in seiner Funktion als Totengott erstmals in den Pyramidentexten erwähnt wird. In den Pyramidentexten wird beschrieben, wie der verstorbene König in die Henu-Barke (s.u.) des Sokar gehoben wird und Sokar für die Wiedergeburt des verstorbenen Königs sorgt.

Szene aus dem Amduat
In der 5. Stunde des Amduat gleitet die Sonnenbarke (nicht im Bild) über die „geheime Höhle“ des falkenköpfigen Gottes Sokar, der eine mehrköpfige, geflügelte Schlange festhält.
Grab Thutmosis III.(KV34),
Theben-West

Neues Reich, 18. Dynastie

Sokars Reich

Der Gott Sokar soll in einem höhlen- oder hügelartigen Heiligtum gelebt haben, welches als Schetait bezeichnet wurde. Vielleicht war Schetait ursprünglich ein Gebäude in Ro-Setau (ein Ort, der wahrscheinlich das heutige Gizeh bezeichnet), zumindest verfügte jedes seiner Heiligtümer über eine als Schetait bezeichnete Kammer.

Im Neuen Reich wurde die Nekropole von Ro-Setau von einem irdischen Gebiet in die mystische Unterwelt verlegt, wo Sokar – „der von Ro-Setau“ – lebte. Im Totenbuch zieht in der vierten und fünften Nachtstunde der geschwächte Sonnengott in seiner Sonnenbarke durch die trockene und unwirtliche Wüstenlandschaft des Ro-Setau. In der vierten Stunde überquert Res Barke mühsam das trockene Flussbett, das mit zahlreichen, gefährlichen Schlangen übersäht ist. Res Barke verwandelt sich in eine feuerspeiende Schlange, während Sokar dem Sonnengott schützend zur Seite steht.
In der fünften Stunde fährt die Sonnenbarke über die Höhle des Sokar – „der auf seinem Sand ist“ – wo der Gott die Schlange Apophis bändigt und sie davon abhält, die Sonnenbarke anzugreifen.

Die Henu-Barke

Der Gott Sokar ist eng mit einer außergewöhnlichen Barke verbunden. Wie Re in den Tag- und Nachtstunden in seiner Barke sitzt, bewegt sich auch Sokar in seiner eigenen Barke fort. Am auffälligsten ist der hohe Bug der Barke, der in Form einer auf das Deck schauenden Antilope dargestellt wird. Die Funktion einer Reihe von länglichen Streifen darunter ist bis heute unbekannt. In Zentrum der Barke saß ursprünglich der Sokar-Falke, in späterer Zeit ein Schrein mit dem Kultbild des Gottes oder der Gott selbst auf einem Hügel. Die Barke steht auf einem Schlitten, auf der sie bei Kultfesten gezogen werden konnte.

Diese Nachzeichnung aus einem Grab des Neuen Reichs zeigt die Henu-Barke, in der Sokar als Falke auf seinem Hügel kauert
Bild: G. Bénédite, Le tombeau de Neferhotpou, in: Mémoires publiés par les membres de la mission archéologique française au Caire 5.3, Paris 1893, 491-540, Pl. III

Das Sokar-Fest

Wahrscheinlich schon seit der Frühzeit feierte man in Memphis das Sokar-Fest und nur wenig später auch in weiten Teilen des Landes. Ursprünglich handelte es sich vielleicht um ein Fest, das die Handwerker, speziell die Metallverarbeiter, zu Ehren des Gottes feierten.

Aber mit Sokar in der Rolle des Totengottes wandelten sich die Ursprünge des Festes und die Einflüsse des osirianischen Glaubens wurden unverkennbar. Bei dem Sokar-Fest, das Sokar und Osiris geweiht wurde, feierte man die Wiederbelebung und Auferstehung des Gottes sowie die Bestätigung und den Fortbestand der pharaonischen Macht. Das Sokar-Fest wurde im Neuen Reich am 22. Tag des vierten Monats der Überschwemmungszeit (Choiak) gefeiert und dauerte zehn Tage.

Der Pharao richtet zusammen mit Isis den Djed-Pfeiler auf
Tempel von Abydos
Neues Reich, 19. Dynastie

Wie Osiris Toten- und Fruchtbarkeitsgott zugleich ist, wurde auch Sokar in diesen beiden Funktionen verehrt und entsprechend flossen auch Fruchtbarkeitsrituale beim Sokar-Fest mit ein. Das Fest begann mit dem Ritual „das Land umzugraben“, es folgten über mehrere Tage verschiedene Rituale, in denen die Mumie des Sokar-Osiris einbalsamiert und unter feierlichen Gesängen in ihr Grab verlegt wurde. Mit Ritualen und Gesängen wurde die Kraft Sokar-Osiris‘ wieder hergestellt und der Gott wiederbelebt. Am 6. Tag begann der Höhepunkt des Festes. In der Nacht davor feierten die Menschen in den thebanischen Gräbern und gedachten mit Opferungen ihrer Toten. Es ist „die göttliche Nacht, Zwiebelketten zu binden“. Bis in die Morgenstunden banden die Menschen Ketten aus Zwiebeln, hängten sich diese um den Hals oder opferten sie Sokar und den Verstorbenen. Im Glauben der alten Ägypter schützte die Zwiebel den Verstorbenen und sie spielte zudem eine Rolle bei der Wiedergeburt.

Am nächsten Tag wurde die Barke des Sokar auf ihrem Schlitten, begleitet von Gebeten und Gesängen, aus ihrem Schetait-Heiligtum gezogen. Beim „Umkreisen der Mauern“ hatte das Volk die einmalige Gelegenheit, die Barke außerhalb des Allerheiligsten des Tempels zu sehen. Das Fest endete mit dem Aufstellen des Djed-Pfeilers, den der König zusammen mit den Priestern in der Morgendämmerung aufrichtete.

In späterer Zeit wurde eine große Statue des Gottes auf seiner Henu-Barke auf die Felder gezogen, wo die Ägypter verschiedene Fruchtbarkeitsrituale auf ihren Äckern durchführten. Außerdem wurde der Gott als Helfer bei verschiedenen Aufgaben, wie dem Ausheben von Gräben und Kanälen, dargestellt.

Figur des Ptah-Sokar-Osiris mit typischer Krone im Atef-Stil
Ptolemäische Zeit
Metropolitan Museum of Art
Lizensiert unter Creative Commons Zero (CC0)

Darstellung

Sokar wird menschengestaltig mit dem Kopf eines Falken dargestellt. Berühmt ist der komplett versilberte Sarg von Pharao Scheschonq II., der statt einem Menschen- den Falkenkopf von Sokar trägt. Sokar kann aber auch komplett menschengestaltig dargestellt werden.
Sein Körper wird als Totengott oft mumiengestaltig gezeigt. Er kann die typischen pharaonischen Kronen tragen oder aber eine ganz spezielle, aufwändig gestaltete Atef-Krone, die aus zwei Hörnern, zwei hohen Straußenfedern der Göttin Maat und einer Sonnenscheibe besteht. Im Neuen Reich wird er zudem als Falke auf einem niedrigen Hügel kauernd gezeigt, der den Ur-Hügel am Anbeginn der Schöpfung symbolisiert.

Der Name Sokar

Der Gott ist so alt, dass eine Deutung des Namens (altägyptisch „zkr“) heute sehr schwierig ist. Einige Ägyptologen vermuten, dass Sokar von dem Ausruf „sy-k-ri“ (Eile zu mir!) abgeleitet wurde, der ein Hilferuf von Osiris an Isis war. Götternamen entstehen aber so eigentlich nicht, weshalb das wenig wahrscheinlich ist. Einige Ägyptologen schreiben, dass der Name von „skr“, was so viel wie „der den Mund reinigt“ (oder besser: „fegt/abwischt“) abgeleitet wird, was im allgemeinen auf die Mundöffnungszeremonie am Grab bezogen wird. Das Verb heißt aber auf altägyptisch „sk-rA“, also wo ist das A am Ende geblieben? Außerdem wird das Verb mit „s“ geschrieben und nicht mit „z“ wie halt zkr, was im Alten Reich sehr wichtig war!

In den Pyramidentexten gibt es Hinweise auf ein Verb zkr, auf das die Präposition (j)r (nach, zu) folgt, was darauf hinweisen könnte, dass zkr eine gerichtete Bewegung beschreiben könnte. Also „gehen nach/zu“, „laufen nach/zu“, „wandern nach/zu“ usw. In einem Text steht z.B. „zkr zum Haus seiner Mutter“. Der Name könnte also eventuell „der Wanderer“ bedeuten, was für den Sokar-Falken, der stets auf seiner Henu-Barke reist, passen würde.

Sokar in Hieroglyphen

Weitere Namensformen

Seker, griechisch Sokaris/Socharis

Erste Erwähnung des Namens

Frühzeit

Der Gott Sokar als Falke sitzt auf einer Barke, über ihm ist das udjat-Auge abgebildet.
Der Grabherr Paschedu (rechts nur halb im Bild) huldigt ihm.
Grab des Paschedu (TT 3), Theben-West
Neues Reich, 19. Dynastie

Verbindungen mit anderen Göttern

Sokars Rolle als ursprünglicher Handwerksgott und Memphis als einer seiner Hauptkultorte brachte ihm ab der 5. Dynastie eine Verbindung mit Ptah ein. Im Alten Reich wird Ptah-Sokar in der aus der 6. Dynastie stammende Autobiographie des Harchuf aus Assuan erwähnt.

Thutmosis III. opfert dem falkenköpfigen Gott Sokar
Tempel von Deir el-Bahari, Theben West
Neues Reich, 18. Dynastie

Erst mit dem Aufstieg des Osiris gehen beide als Sokar-Osiris eine Verbindung ein. Alle drei Gottheiten wurden ab dem Mittleren Reich zu Ptah-Sokar-Osiris verbunden. Der Ursprung von Ptah-Sokar-Osiris liegt wahrscheinlich in Abydos, dem Kultzentrum des Osiris. Trotz aller Verbindungen trat Sokar weiterhin als eigenständige Gottheit auf.

Familie

In Begleitung von Sokar treten all die Götter in Erscheinung, die auch zusammen mit Ptah und Osiris zu sehen sind. Dazu gehört beispielsweise Sachmet, die Gattin des Ptah. Eine enge Verbindung besteht auch mit der Göttin Hathor, die als Herrin des Schetait-Heiligtums bezeichnet wird. Seit dem Neuen Reich ist auch eine Göttin Sokaret (Zkrt – Das t ist die weibliche Endung) bekannt.

Orte/Zeiten der Verehrung.

Sokar war der Hauptgott der Regionen Ro-Setau und Pedju-Schi, die wahrscheinlich die Nekropolen von Gizeh und Sakkara waren und zur Region Memphis gehörten. Ob die Bezeichnung des Ortes Sakkara von dem Gott Sokar abgeleitet wurde, ist umstritten. Schon in den ersten Dynastien wurde Sokar hier verehrt und seit dem Mittleren Reich auch in Theben-West. Der Kult verbreitete sich in weite Teile des Landes und über viele Jahrtausende bis hinein in die ptolemäische Zeit.